Karten-Arbeit
Workshop des Institut franco-allemand de sciences historiques et sociales Frankfurt/M. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Geschichte Mainz und der École des hautes études en sciences sociales Paris sowie
mit Unterstützung der Deutsch-Französischen Hochschule
Mainz, 28. Februar-1. März 2024
Karten sind ein zentrales Medium geschichtswissenschaftlicher Arbeit. In der Form von historischen Karten dienen sie als wichtige Quelle, um nicht nur Raumvorstellungen in der Geschichte oder die Legitimation von Herrschaft im Raum zu rekonstruieren, sondern auch, um – wie im Fall von Augenscheinkarten in Gerichtsprozessen – Konflikte zu entschlüsseln. Geschichtskarten wiederum, also moderne thematische Karten, die historische Zustände oder Prozesse graphisch aufbereiten, dienen als primäre Darstellungsform von Geschichte in ihren räumlichen Bezügen. Nicht nur die Raumgeschichte im engeren Sinne, sondern auch die Politikgeschichte, die Sozialgeschichte oder die Globalgeschichte sind ohne Karten nicht denkbar. Dennoch variieren Stellung und Einsatz von Karten in den einzelnen nationalen Historiographien stark. In Frankreich, wo Geschichte und Geographie seit jeher in Schule, Studium und Forschung eng verbunden sind, gehören sie so zum weitgehend selbstverständlichen Handwerkszeug von Historikerinnen und Historiker. Das zeigt sich nicht nur in einer reichhaltigen raumgeschichtlichen Forschungsliteratur, die Karten zu ihren wichtigen Quellen zählt, sondern auch im regelmäßigen Rückgriff auf Karten als heuristisches Mittel bei der Konstruktion der historischen Erzählung.
In Deutschland sieht die Lage anders aus: Karten-Arbeit war hier, wie das Interesse für den Raum insgesamt, jahrzehntelang durch den Missbrauch raumgeschichtlicher Forschung im Dienst von nationalsozialistischer Ideologie und Gewaltherrschaft kontaminiert. Vom illustrativen Einsatz in Überblickswerken abgesehen, blieb der Gebrauch von Karten weitgehend auf Nischen beschränkt, vor allem die Landesgeschichte, die im Laufe der Jahrzehnte eine große Zahl von historischen Atlanten vorgelegt hat, in denen eine einstmals reiche kartographische Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft weiterlebte. Ansonsten aber spielten Karten in der deutschen Historiographie so gut wie keine Rolle. Daran hat erst der mancherorts nachgerade euphorisch gefeierte spatial turn der 2000er-Jahre etwas geändert. Seitdem sind auch in Deutschland Karten wieder in den Fokus von Historikern und Historikern gerückt, wobei das Interesse vor allem ihrem Wert als Quellengattung gilt. Daneben ist die Kartographiegeschichte zu einem produktiven Forschungsfeld geworden, wofür das seit 2011 bestehende „Kartengeschichtliche Kolloquium“ ein beredter Ausdruck ist. Die Herstellung von Karten als eigene Form der Geschichtsdarstellung und Werkzeug, welches Erkenntnisse generiert, die durch rein textbasierte Verfahren nicht zu erlangen sind, ist in Deutschland hingegen nach wie vor wenig verbreitet, was auch am Fehlen einschlägiger universitärer Ausbildungsangebote liegt. Dieses Manko fällt umso mehr auf, als heute in Gestalt der Geographischen Informationssysteme (GIS) digitale Instrumente existieren, welche die Herstellung von Geschichtskarten erheblich erleichtern und eine wichtige Rolle in neueren raumgeschichtlichen Arbeitsformaten wie dem „Spatial History Project“ der Stanford University oder der „Plateforme Géomatique“ der EHESS in Paris spielen.
Hier möchte der Workshop in einer deutsch-französischen Perspektive ansetzen und zur vermehrten Nutzung von Karten in der historiographischen Praxis anregen. Zielpublikum sind vor allem jüngere Forscherinnen und Forscher (fortgeschrittene Masterstudierende, Doktorandinnen und Doktoranden, Postdoktorandinnen und -doktorandinnen, die ihre Arbeit kürzlich abgeschlossen haben), die in ihrer Forschung mit Karten konfrontiert sind oder solche mit Gewinn in ihren Projekten einsetzen möchten. Dabei sollen alle Aspekte der Karten-Arbeit zum Zuge kommen: (1) die Nutzung von historischen Karten als Quellen der Geschichtsschreibung, (2) das Nachdenken über die Bedingungen und Kontexte historischer Kartenproduktion (Kartographiegeschichte) und (3) der Einsatz von selbst hergestellten Karten als Argument in der historischen Erzählung. Neben dem Blick auf die französische und die deutsche Historiographie sind Beispiele aus anderen kulturellen Kontexten ausdrücklich erwünscht. Besonders willkommen sind zudem Beiträge, die eigene Erfahrungen beim Karten-Machen thematisieren, auch und insbesondere aus dem Bereich der GIS.
Leifragen können etwa der Wert von historischen Karten für die historiographische Forschung, die methodischen Regeln für die Interpretation alter Karten oder das Spannungsfeld zwischen graphischen Konventionen und historischem Erkenntnisinteresse sein, also der Aspekt der visuellen Gestaltung von Karten und die Einsicht, dass eine „schöne“ Karte nicht unbedingt eine „gute“ Karte ist. Thematisiert werden soll auch das spezifische Plus an Erkenntnis, welches Karten ermöglichen, weil sie Daten auf eine spezifische Art und Weise aufbereiten. Insgesamt geboten werden soll ein Forum des Austauschs für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich auf das Abenteuer der Karten-Arbeit einlassen und dabei mit Fragen konfrontiert sind, die über den engeren Kontext des eigenen Forschungsprojekts hinausgehen.
Gerahmt wird die Veranstaltung durch Impuls-Referate, die von erfahreneren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gehalten werden, die gleichzeitig die Diskussionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer begleiten. Periodisch liegt der Schwerpunkt auf der Geschichte seit der Frühen Neuzeit (also ungefähr ab 1500 bis in die Zeitgeschichte). Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Englisch, wobei zumindest passive Kenntnisse in diesen drei Sprachen vorausgesetzt werden. Um das Verständnis zu erleichtern, werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, eine PowerPoint-Präsentation in einer anderen Sprache als der, in der sie vortragen, vorzubereiten. Der Workshop findet in den Räumen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz statt. Kosten für Anreise, Unterkunft und Verpflegung werden übernommen.
Vortragsvorschläge (etwa 300 Wörter) werden mit kurzen Angaben zum Lebenslauf und eventuellen Publikationen bis zum 15. Dezember 2023 erbeten an falk.bretschneider@ehess.fr.