31. Oktober 2025 | Call for participation EURETES-Workshop | "Berlin als Schauplatz der Moderne. Ein Theoriespaziergang" Berlin | 3-6 Dezember 2025

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Der Großstadtmensch ist ein Jemand auf Abruf. Zumeist ist er nicht Eigentümer seines Wohnsitzes, sondern kündbarer Mieter; er arbeitet in der Regel in einem unsicheren Anstellungsverhältnis und trifft täglich auf eine Unzahl Menschen, die er nicht kennt und über die er nichts weiß. Er hat wenig Zeit, ist unablässig in Bewegung, den städtischen Infrastrukturen ausgeliefert. Der Großteil der Gebäude, die ihn umgeben, bleibt ihm unbetretene Fassade. Er ist konstitutiv vereinzelt, seine Bindungen sind widerrufbar, er vergisst und wird vergessen. Der Großstadtmensch gehört zur Umwelt einer Stadtgesellschaft, die selbst kein Zentrum hat. Niemand ist hier tragende Säule, jeder eine flüchtige, ersetzbare Variable.

Am Großstadtmenschen lässt sich beobachten, was die Moderne auszeichnet: Kontingenz, Fragmentierung, Wandel, Flüchtigkeit. Nicht von ungefähr ist die Großstadt des beginnenden 20. Jahrhunderts das klassische Objekt der Soziologie, die gleichzeitig mit ihr entsteht. In Deutschland gilt das vor allem für Berlin, um 1920 die drittgrößte Stadt der Welt. In der Hauptstadt der Weimarer Republik entsteht seinerzeit eine Reihe von Texten, die Modernität ausgehend von der Alltagserfahrung in der Großstadt analysieren. Zentrale Namen lauten Georg Simmel, Walter Benjamin und Siegfried Kracauer.

Der „Theoriespaziergang“ hat vor, die Stadt Berlin als Schauplatz der Moderne zu erkunden. Grundlage dafür sind ausgewählte Texte der eben genannten Autoren, die mit den theoretischen Überlegungen Niklas Luhmanns zur Individualität in der funktional differenzierten Gesellschaft konfrontiert werden sollen – die zeitgenössischen Texte machen dabei die Problembezüge von Luhmanns Überlegungen anschaulich. Die gemeinsame Diskussion dieser Texte wird ergänzt durch den Besuch emblematischer Orte und die Suche nach Spuren der Großstadterfahrung in Form einer theoretisch informierten Stadterkundung Berlins als europäischer Ort der Moderne.

Teilnahmevoraussetzung

  •  Einschreibung an der EHESS oder der Goethe-Universität Frankfurt/M. (Master, Promotionsphase, Postdoc),
  •  Bereitschaft zur vorbereitenden Lektüre der unten angegebenen Texte.

Arbeitssprachen sind Französisch und Deutsch. Die Kosten für Reise und Unterkunft werden auf der Basis einer Pauschale von EURETES „Faire société“ übernommen.

Anmeldung

Lektüren

  • Benjamin, Walter: »Erfahrung und Armut«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II/1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977 [1933], S. 213–218 sowie »Kaiserpanorama«, in: ebend., Bd. IV/1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1972 [1928], S. 94–101
  • Kracauer, Siegfried: »Das Ornament der Masse«, in: Ders., Das Ornament der Masse, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1963 [1927], S. 50–63
  • Luhmann, Niklas: »Individuum, Individualität, Individualismus«, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989, S. 149–258
  • Simmel, Georg: »Die Großstädte und das Geistesleben«, in: Ders., Aufsätze und Abhandlungen 1901–1908, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1995 [1903], S. 116–131

Organisation

  • Falk Bretschneider (EHESS Paris)
  • Andreas Häckermann (Goethe-Universität Frankfurt a. M. / IFRA-SHS)
  • Rainer Maria Kiesow (EHESS Paris)
  • Dominik Schrage (Technische Universität Dresden)
  • Alice Vincent (Universität MLP Besançon / IFRA-SHS)